(In)visible Women – Verbesserung der Sichtbarkeit von Frauen in archäologischen Forschungsdaten

von Florian Lukas

Abbildung 1: Titelbild (Quelle: Wikicommons)

Historisch-politische Chronologien sind ein wichtiges Hilfsmittel in der archäologischen und historischen Forschung, um Ereignisse und Zeitspannen zeitlich sowie räumlich einzuordnen. Im Rahmen unseres Forschungsprogramms “Entangled Africa” versuchen wir die Chronologien der von uns untersuchten Regionen, die größtenteils noch im 19. Jh. erstellt wurden, unter Berücksichtigung neuer Methoden und Theorien zu aktualisieren. Ein Fokus liegt darauf, Perspektiven miteinzubeziehen, die in der traditionellen Forschung lange vernachlässigt wurden.

Das Schwerpunktprogramm (SPP) “Entangled Africa” beschäftigt sich thematisch mit der Archäologie des afrikanischen Kontinents für die Zeitspanne von ca. 6000–500 Jahren vor unserer Gegenwart. Die einzelnen Teilprojekte verfolgen dabei unterschiedliche Forschungsansätze in Regionen östlich und südlich der Sahara. Die dafür genutzten und während der Forschung generierten Forschungsdaten werden vor allem in den open-access-Portalen der iDAI.world gespeichert und zugänglich gemacht.

Chronologien bzw. Zeitbegriffe (in Form von SpaceTime Volumes, STV) verstehen sich in diesem Zusammenhang ebenfalls als Forschungsdaten. Für ihre Bearbeitung und Bereitstellung enthält die iDAI.world ein eigenes Portal namens ChronOntology. Für das SPP müssen einige der bestehenden Datensätze/Perioden überarbeitet und zahlreiche neu erstellt werden. Während dieser Arbeit – konkret an der Chronologie zum ptolemäischen Ägypten – fiel uns auf, dass Frauen in den klassischen politischen Chronologien, die nach den jeweiligen Regenten einer Dynastie datieren, unterrepräsentiert sind bzw. teilweise komplett übergangen werden. Daher wurde im Einverständnis mit der wissenschaftlichen Leitung eine neue Forschungsgruppe mit dem Titel (In)Visible Women gegründet, um diese Problematik zu untersuchen. Diese Arbeit habe ich, als Leiter der Froschungsgruppe, in Form des Praxisprojekts in mein MaLIS-Studium integriert.

Die Hauptarbeit der letzten Monate bestand darin, die vorhandenen Quellen zum ptolemäischen Ägypten zu sichten und ein Konzept samt Parametern zu erarbeiten (u.a. durch einen Workshop mit interessierten Forschenden), aus denen sich eine neue, sogenannte Counter-Chronology entwickeln lässt, die der klassischen Einteilung gegenüber gestellt werden kann. Die Quellen verdeutlichen dabei, dass die ptolemäischen Königinnen schon seit Beginn der Dynastie über deutlich mehr Macht- und Handlungsbefugnisse verfügten, als es die klassische Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts oftmals vermittelt. Spätestens ab dem Beginn des 2. Jahrhunderts v.u.Z. treten sie auch als politisch gleichberechtigte Regentinnen und bisweilen sogar als Alleinherrscherinnen auf – und damit knapp 150 Jahre vor der allseits bekannten letzten Königin, Kleopatra VII.

Abbildung 2: Zeitbalken der einzelnen Regent*innen getrennt in Männer und Frauen. (Quelle: Florian Lukas)

Diese Erkenntnisse wurden dann in Form von Regierungsdaten aufgenommen und mithilfe der statistischen Skriptsprache R auf einen Zeitstrahl übertragen, der die einzelnen Regierungsperioden als Zeitbalken enthält (Abbildung 2). Aus diesen Zeitbalken wurden dann neue Perioden erarbeitet, indem von links nach rechts von jedem Anfang eines Balkens bis zum nächsten Ende ein Rahmen gezogen wurde; unabhängig auf welcher Ebene der Balken liegt. Alle in dem Rechteck einbezogenen Regent*innen bildeten dann gemeinsam die neue chronologischen Periode. Abbildung 3 verdeutlich dies: Hier entstehen drei neue Perioden in einer Zeitspanne, die nach der klassischen Einteilung vollständig einem männlichen König (Ptolemaios VI.) zugerechnet wird. Der (recht simple) Code für diese Arbeit findet sich auf GitHub.

Abbildung 3: Erstellung der neuen Perioden inklusive der Regentinnen. (Quelle: Florian Lukas)

Ziel der Arbeit ist es, auf diese Weise eine detailliertere Chronologie der ptolemäischen Dynastie anzubieten, die das in den Quellen geschilderte Bild genauer wiedergibt. Des Weiteren spiegelt diese Art der Interpretation auch die zeitgenössische gesellschaftliche Entwicklung besser wider – schließlich hat die Gleichberechtigung in Gender-Fragen in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht; wenn auch noch viel zu tun bleibt. Hier, so hoffen wir, kann diese Art der Reinterpretation helfen, einen Bewusstseinswandel in der Wissenschaft zu unterstützen, der bestenfalls auch in die Gesellschaft ausstrahlt. Dankenswerterweise erhält unsere Forschungsgruppe die Chance, die im Praxisprojekt erarbeiteten Ergebnisse ab der zweiten Jahreshälfte 2024 als Teil der Ausstellung “Planet Africa” der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen.

 

Projektzeitraum: Mai 2022 bis Februar 2023
Projektbetreuer*in: Dr. Johanna Sigl
Kontakt: florian.lukas@dainst.de

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