Digitale Rechte vs. Aufarbeitung des Nationalsozialismus? Ein Online-Archiv für den Landkreis Erding

von Sara Melchior

Abbildung 1: Startseite des Online-Archivs im Content Management System Omeka (Quelle: https://erdinggeschichte.omeka.net/)

Im Rahmen des MALIS-Praxisprojektes wurde ein Online-Archiv mit Zeitdokumenten der Jahre 1933 bis 1945 eingerichtet. Diese stammen aus dem Landkreis Erding und sind jetzt als Ressourcen der Heimatforschung und zur Auseinandersetzung mit der Lokalgeschichte öffentlich zugänglich. Die Ausgaben der NSDAP-Kreiszeitung “Aus der Heimat”, die von 1940 bis 1945 an die Frontsoldaten verschickt wurden, bilden die erste digitale Sammlung des Online-Archivs. Diese schließt an die bisherige Arbeit des Zeithistorikers Giulio Salvati an, der dafür mit dem Tassilo-Kulturpreis ausgezeichnet wurde. Bereits 2019 begann er mit www.erding-geschichte.de ein Crowdsourcing-Projekt, das biographische Angaben von 4.500 ausländischen Zwangsarbeitern*innen im Landkreis rekonstruiert hat.

Für das Archiv wurde das Open Source Content Management System Omeka genutzt, welches vor allem im englischsprachigen Ausland bekannt ist. Es wird insbesondere für Community-basierte Archivprojekte im Bereich der Digital Humanities und der Public History genutzt.

In Deutschland wird Omeka zum Beispiel von der Deutschen Digitalen Bibliothek eingesetzt. Es gibt vergleichbare Plattformen, die Inhalte aus der NS-Zeit digital zur Verfügung stellen und kontextualisieren. Hier sind zum Beispiel die Arolsen Archives, das niederländische Network of War Collections oder der digitale Zeitungslesesaal ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek zu nennen. Das hier eingerichtete Online-Archiv soll auch anderen Kuratoren*innen die Möglichkeit geben, ohne IT-Vorkenntnisse Objekte einzupflegen, damit Crowdsourcing-Initiativen gestartet werden können.

Für den Projektumfang wurde festgelegt, welche Zielgruppen mit dem Online-Archiv angesprochen werden sollen und welche inhaltliche Kontextualisierung für die Objekte erforderlich ist. Es wurde ein Workflow für die Digitalisierung der Zeitungsausgaben entwickelt und über Omeka.net eine eigene Site eingerichtet. Dabei stellten die Fragen des Urheber- und Persönlichkeitsrechts besondere Herausforderungen dar. Denn “Aus der Heimat” macht auf etwa 800 Seiten die Aktivitäten der NSDAP-Ortsgruppen im Landkreis Erding sichtbar. Es werden detailliert zahlreiche Ereignisse, Geburten und Todesfälle beschrieben. Dabei werden über 5.000 Namen genannt, überwiegend im alltäglichen Zusammenhang. Dies bietet bei der Erforschung der Lokalgeschichte erste Anhaltspunkte, um die Dimension von Krieg und Diktatur zu rekonstruieren.

Im Projekt wurde sich gegen die Indexierung der Metadaten durch Google entschieden, auch wenn dadurch die Reichweite des Online-Archivs maßgeblich erhöht werden würde. So spiegeln sich im kleinen Umfang die großen Herausforderungen von Institutionen wider, unterschiedliche Ansprüche in Einklang zu bringen. Einerseits ist es von gesellschaftlichem Interesse, Bestände zu digitalisieren, die unmittelbar mit historischem Unrecht zu tun haben und biographische Informationen leicht auffindbar zu machen. Andererseits müssen auch Persönlichkeitsrechte beachtet werden.

Abbildung 2: Beispiele von Suchergebnissen mit der Stichwortsuche (Quelle: https://erdinggeschichte.omeka.net/)

Das Online-Archiv erlaubt es Interessierten aus der Region, die Beteiligung der Erdinger Landbevölkerung an der NS-Diktatur selbst zu erforschen. Dadurch wird nicht nur der NS-Zeit vor Ort eine neue Transparenz verliehen. Auch das Archivprojekt selbst verortet sich bereits beim Aufbau selbstkritisch in den stattfindenden Debatten um NS-Archivgut und die Grenzen der Digitalisierung.

 

Projektzeitraum: April 2021 bis Juli 2021
Projektbetreuer: Prof. Dr. Klaus Lepsky
Kontakt: sara.melchior@posteo.de

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