von Catharina Boss
Inhalte aus sozialen Medien – Handyvideos, Selfies, Tweets – werden für die mediale Berichterstattung zunehmend relevant. Nachrichtenagenturen und Medienhäuser entwickeln deshalb Strategien, soziale Netzwerke zu beobachten und verwertbaren, sogenannten “User Generated Content” herauszufiltern. Am Beispiel von thematischen Listen und der kostenfreien Anwendung TweetDeck zeigt dieses Projekt, wie Struktur in die Datenflut des sozialen Netzwerks Twitter gebracht werden kann.
Für die mediale Berichterstattung ist Monitoring von sozialen Medien unerlässlich. Redakteure binden Fotos von Facebook oder Instagram in Beiträge ein, zeigen Videos von YouTube oder Snapchat, zitieren Tweets bekannter und unbekannter Personen. „Netzreaktionen“ sind längst fester Bestandteil von journalistischen Formaten geworden. Soziale Netzwerke dienen aber nicht nur der Anreicherung von Beitragen mit Bildmaterial, sondern auch als Trendbarometer und Fundus für die Themenfindung.
Nachrichtenagenturen und Medienhäuser entwickeln deshalb Strategien, soziale Netzwerke zu beobachten und verwertbaren, sogenannten User Generated Content herauszufiltern. Gleichzeitig ist die schiere Masse an Tweets, Posts und Videos nur schwer zu kontrollieren – geeignete User und ihr Content müssen ausfindig gemacht und beobachtet werden, Inhalte auf Authentizität und Qualität hin verifiziert werden. Dies erfordert einen hohen Arbeits- und Zeitaufwand bei der Kuration, bringt aber System und somit Überblick in die Recherche.
Ziel des Praxisprojektes (im MALIS-Studiengang der TH Köln unter Betreuung von Prof. Dr. Petra Werner und Miriam Schmitz) war es, in der Abteilung Content Services der Produktionsfirma infoNetwork das Kuratieren von Web-Inhalten am Beispiel von Twitterlisten zu erproben. Listen dienen dazu, Profile übersichtlich zu sortieren und Themen oder Personengruppen zuzuordnen. Insgesamt wurden drei Kategorien von Listen erstellt:
a) Listen, die sich am Kategoriensystem des Archivs orientieren ( z. B. Politik)
b) Listen zu ereignisgetriebenen Themen (z. B. Präsidentschaftswahlen USA)
c) allgemeine Listen (z. B. Deutsche Medien).
Um die inhaltliche Qualität von Listen abzusichern, wurden konkrete Anforderungen an die Auswahl von Accounts formuliert. Hierunter fallen beispielsweise die Relevanz für das Programm der Mediengruppe, die Aktivität des Users, die Anzahl der Follower sowie die Echtheit des Accounts.
Das bloße Anlegen von Listen genügt aber nicht, um sie effektiv als Recherchewerkzeug zu nutzen, denn die Timeline von Twitter selbst bietet keine Filter- oder Suchfunktionen. Im Zuge des Projekts wurde deshalb die Aufarbeitung mittels einer webbasierten Anwendung ins Auge gefasst. Ausgewählt und evaluiert wurden ein kostenfreies und eine kostenpflichtiges Produkt: TweetDeck (https://tweetdeck.twitter.com/) und Hootsuite (https://hootsuite.com/).
Beide Anwendungen verfolgen das Prinzip Kolumnen auf Basis unterschiedlicher Quellen (Listen, User, Suchbegriffe o.ä.) anzuordnen und diese nach verschiedenen Parametern zu filtern (Content, User, Reichweite, Schlagwort u.a.). Die Entscheidung fiel zugunsten der kostenfreien Anwendung TweetDeck aus, die durch den Umfang an Recherchemöglichkeiten und Funktionen insgesamt besser abschneidet.
Die Verwendung von TweetDeck wurde mehrere Wochen durch Mediendokumentare in der Planungsredaktion von infoNetwork mit einem Set an vorgefertigten, kuratierten Listen getestet. Die Aufgabe des Mediendokumentars an dieser Stelle ist es, Redakteure, die Themen und Drehs tagesaktuell disponieren, bei der Recherche und Materialzulieferung zu unterstützen. Die Twitter-Listen sollten als zusätzliches Informationsmittel genutzt werden, mit dem Wunsch, durch das Monitoring von Tweets nicht nur zusätzlichen Content sondern auch frische, erst aufkeimende Themen zu finden.
Letztlich zeigte sich, dass eine Mixtur aus Recherche in den Listen und Anwendung weiterer Ansätze, wie das Verfolgen populärer Hashtags, einen sehr guten Überblick über aktuelle Themen und Debatten im sozialen Netzwerk gab. Als Informationsmittel konnte sich TweetDeck also bewähren. Das Herausfiltern gänzlich neuer Inhalte blieb jedoch aus verschiedenen Gründen hinter den Erwartungen zurück, z.B. weil Themen früher oder zeitgleich über andere Kanäle kommuniziert oder durch die Redaktion als nicht relevant bewertet wurden.
Ein erfolgreiches Beispiel für die Nutzung von TweetDeck: Als im Zuge der Stimmenauswertung der Präsidentschaftswahlen in den USA die Website der kanadischen Einwanderungsbehörde wegen Überlastung nicht erreichbar war, wurde diese Information zuerst über die sozialen Netzwerke verbreitet und konnte dank des Monitorings zeitnah in die Liveberichterstattung aufgenommen werden. TweetDeck wird weiterhin von Mediendokumentaren zur Information genutzt und die Recherche in sozialen Netzwerken wird ausgeweitet.
In Kürze wird der Dienst Crowdtangle in das Tagesgeschäft eingebunden, der die Performance von user-generiertem Content statistisch auswertet und Aufschluss über populär werdende Inhalte liefert.
Im Test befindet sich außerdem die App Nunki, mit der Posts diverser Netzwerke ortsbasiert (“geo-fenced”) recherchiert und gesammelt werden können.
In Zukunft wollen die Mediendokumentare von infoNetwork den Output von Recherchen in sozialen Netzwerken noch verbessern und das Monitoring ausbauern. Das Ziel: spannende Geschichten für die
Berichterstattung von morgen finden!
Das Projekt wurde mit dem Marianne-Englert-Preis 2017 des vfm ausgezeichnet und der Fachaufsatz veröffentlicht (s. http://www.vfm-online.de/weblog/wp-content/uploads/2017/07/info7_2017-2_S-44-47.pdf)